Dienstag, 7. April 2020

AGG 2020

Lädt ein öffentlicher Arbeitgeber einen Bewerber mit Behinderung oder gleichgestellten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, liegt regelmäßig die Vermutung einer diskriminierenden Benachteiligung vor. Das gilt nur dann nicht, wenn der Bewerber offensichtlich ungeeignet ist, so das LAG Mecklenburg-Vorpommern.
Der einem Schwerbehinderten gleichgestellte Bewerber hatte sich bei einer Gemeinde an der Ostsee für die Leitung eines wirtschaftlich selbständigen Betriebs beworben, unter dessen Dach ein Freizeitpark aufgebaut werden sollte. In der Stellenausschreibung hieß es unter anderen, dass ein abgeschlossenes Studium (FH / Bachelor oder Master) in der Fachrichtung Betriebswirtschaft, Tourismus, Marketing oder Kommunikation bzw. vergleichbarer Abschluss sowie Erfahrungen in den Bereichen Betriebswirtschaft/Marketing/Tourismus wünschenswert seien.

Bewerber weist auf Gleichstellung mit Schwerbehinderten hin

In seiner inklusive Anlagen mehr als 50 Seiten langen Bewerbung führte der Kläger unter anderem aus, dass seine Gleichstellung mit Schwerbehinderten keinen Einfluss auf seine Arbeitsleistung habe, und er gab in dem beigefügten Lebenslauf an, nach dem Wehrdienst im Polizeivollzugsdienst bei der Bundespolizei tätig gewesen zu sein. Er konnte einen Abschluss als Diplom-Verwaltungswirt vorweisen. Zudem hatte er in einem Straßenverkehrsamt eines Landkreises gearbeitet und schließlich ein Studium zum Master of Public Administration im Bereich Wirtschaftswissenschaften absolviert. Außerdem war er als Sachbearbeiter für Personalangelegenheiten beim Vogtlandkreis beschäftigt.

Amt lehnt Bewerber ab

Mit Schreiben vom 30.05.2018 teilte das Amt mit, einen anderen Bewerber ausgewählt zu haben, ohne dass eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erfolgt war. Daraufhin forderte der Kläger mit Schreiben vom 23.07.2018 eine Entschädigung in Höhe von 19.875,60 Euro, also dem sechsfachen monatlichen Entgelt von 3.312,60 Euro.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 3.312,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5,0 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2018 verurteilt, worauf die Gemeinde Berufung einlegte.
Damit hatte sie vor dem LAG Mecklenburg-Vorpommern keinen Erfolg.
Das Gericht sprach dem Kläger eine Entschädigung aufgrund einer Benachteiligung nach dem AGG zu. Aufgrund der in §22 AGG geregelten Darlegungslast muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung des Bewerbers geführt haben.
Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Diese Pflichtverletzung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein (u.a. BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 375/15).
Da der Kläger im Bewerbungsschreiben auf seine Gleichstellung hingewiesen hatte, war dem öffentlichen  Arbeitgeber dieser Umstand auch bekannt – ein Verweis darauf, diesen Hinweis in der Bewerbungsphase übersehen zu haben, genügt nicht, um von der Unkenntnis der Behinderung auszugehen, so das LAG.

Keine Bedenken bezüglich Kompetenz

Auch an der fachlichen Eignung des Bewerbers hatte das LAG keine Bedenken: Maßgeblich ist zunächst das Anforderungsprofil für die Stelle, mit dem der Arbeitgeber festlegt, welche Kenntnisse und Fähigkeiten ein zukünftiger Mitarbeiter aufweisen muss. Der Kläger habe aufgrund seines Abschlusses als Diplom-Verwaltungswirt und aufgrund des Masterstudiums, das unter anderem die Module Kundenorientierung, Verwaltungsmarketing und eGovernment, Controlling, Personalmanagement und Personalführung beinhalte, Kenntnisse erworben, die sich zum Teil mit dem Stellenprofil decken. Daraus ergeben sich, dass der Bewerber nicht offensichtlich ungeeignet sei.

Quelle

LAG Mecklenburg-Vorpommern (07.01.2020)
Aktenzeichen 5 Sa 128/19