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Vergleiche: Der Begriff der Behinderung im Sinne von § 1 AGG, wegen der gemäß § 7 AGG Beschäftigte nicht benachteiligt werden dürfen, entspricht der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Menschen sind danach behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Begriff der "Behinderung" ist damit weiter als der Begriff der "Schwerbehinderung" im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX; auf einen bestimmten Grad der Behinderung kommt es nicht an (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 66; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 39). Die Ausweitung des Benachteiligungsverbots über den Kreis der Schwerbehinderten (§ 81 Abs. 2 SGB IX) auf alle behinderten Menschen ist durch das unionsrechtliche Begriffsverständnis gefordert (vgl. ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 1 AGG Rn. 10 mwN). Im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78/EG ist eine einheitlich geltende Auslegung des Behindertenbegriffs notwendig, der eine Beschränkung auf "Schwerbehinderung" nicht kennt (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - aaO). Der Kläger, der an einem essentiellen Tremor leidet und für den seit dem 23. September 1997 ein Grad der Behinderung von 60, also eine Schwerbehinderung, festgestellt ist, unterfällt damit dem Behindertenbegriff des § 1 AGG.






Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Arbeitgeber unabhängig davon, ob sie die Beschäftigungsquote nach § 71 Abs. 1 SGB IX erfüllen, verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere solche, die bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet sind , besetzten zu können. Die Prüfpflicht wird konkretisiert durch die in § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX normierte Verpflichtung des Arbeitgeber frühzeitig Verbindung zur Agentur für Arbeit aufzunehmen. Die Nichteinhaltung oder nicht genügende Einschaltung der Agentur für Arbeit ist grundsätzlich geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu begründen.



Fester Wohnsitz ist keine Klagevoraussetzung

Auch wenn der Kläger keinen festen Wohnsitz gehabt habe und von Bekannten und Unterstützern tageweise aufgenommen worden sei, so könne ihm doch das Recht nicht versagt werden, eine Klage zu erheben, um effektiven Rechtsschutz zu bekommen.
Auch die Angaben des Klägers in der Klageschrift zum Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten hat das Gericht als ausreichend angesehen. Der Kläger habe in der Klageschrift noch keine Angaben zu etwaigen Vertretungsverhältnissen oder Bevollmächtigungen bei dem verklagten Bauunternehmen machen müssen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da das verklagte Unternehmen noch Berufung einlegen kann.

Quelle:
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 13.08.2015
Aktenzeichen 57 Ca 3762/15
ArbG Berlin, Pressemitteilung Nr. 26/15 vom 13.08.2015




BAG · Urteil vom 13. Oktober 2011 · Az. 8 AZR 608/10

  
Auch wenn der Kläger eine Vielzahl von Entschädigungsklagen gegen öffentliche Arbeitgeber in Folge der Vielzahl seiner Bewerbungen angestrengt hat, so liegt hierin allein kein ausreichender Umstand, der die Bewerbung bei der Beklagten als subjektiv nicht ernsthaft erscheinen ließe (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; Däubler/Bertzbach-Deinert 2. Aufl. § 15 Rn. 54). Der Kläger hat im fortgeschrittenen Alter und trotz vorhandener anderer Berufsabschlüsse das Studium an der Fachhochschule K mit der Staatsprüfung im September 2008 abgeschlossen und sich entsprechend dieser Ausbildung bei einer Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften beworben. Der Kläger stand zum Zeitpunkt der Bewerbung in keinem anderweitigen Arbeitsverhältnis. Die Vielzahl der Bewerbungen spricht - auch angesichts des Lebenslaufs des Klägers - mehr für die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung als dafür, dass es dem Kläger nur um die Erlangung einer Entschädigung gegangen sein könnte. Gegen eine fehlende Ernsthaftigkeit spricht vor allem aber, dass sich der Kläger auch erfolgreich beworben und eine entsprechende Tätigkeit bei einem öffentlichen Arbeitgeber im Zeitraum 12. Januar bis 31. März 2010 in Oberbayern ausgeübt hat.

Die nachteilige Behandlung hat der Kläger auch "wegen seiner Behinderung" erfahren.
a) Der Begriff der Behinderung im Sinne von § 1 AGG, wegen der gemäß § 7 AGG Beschäftigte nicht benachteiligt werden dürfen, entspricht der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Menschen sind danach behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Begriff der "Behinderung" ist damit weiter als der Begriff der "Schwerbehinderung" im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX; auf einen bestimmten Grad der Behinderung kommt es nicht an (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 66; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 39). Die Ausweitung des Benachteiligungsverbots über den Kreis der Schwerbehinderten (§ 81 Abs. 2 SGB IX) auf alle behinderten Menschen ist durch das unionsrechtliche Begriffsverständnis gefordert (vgl. ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 1 AGG Rn. 10 mwN). Im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78/EG ist eine einheitlich geltende Auslegung des Behindertenbegriffs notwendig, der eine Beschränkung auf "Schwerbehinderung" nicht kennt (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - aaO). Der Kläger, der an einem essentiellen Tremor leidet und für den seit dem 23. September 1997 ein Grad der Behinderung von 60, also eine Schwerbehinderung, festgestellt ist, unterfällt damit dem Behindertenbegriff des § 1 AGG.
b) Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32 zu § 3 Abs. 1 AGG). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 7 Rn. 14; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 11; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 7AGG Rn. 3). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an  (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - aaO).
Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal ist in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt. Der Beschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter "Indizien" und "vermuten" bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität erfordern, die aber die Annahme rechtfertigen, dass Kausalität gegeben ist (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1). Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
c) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Bewerber vorgetragenen oder unstreitigen Tatsachen eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen einer Behinderung und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6 zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF bzgl. einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung).


EuGH: Entlassung von Arbeitnehmern wegen Versetzung in den Ruhestand

Eine nationale Rechtsvorschrift, die eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters vorsieht, kann gerechtfertigt sein, wenn sie ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen sozialpolitischen Ziels aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung darstellt.
Der EuGH hatte sich mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedsstaaten die Entlassung von Arbeitnehmern wegen Versetzung in den Ruhestand gestatten können.
Im Ausgangsfall hatte eine britische gemeinnützige Einrichtung zur Förderung des Wohls älterer Menschen geklagt.
Nach einem britischen Gesetz können Beschäftigte, die das bei ihrem Arbeitgeber geltende übliche Ruhestandsalter, oder, wenn es ein solches nicht gibt, das 65. Lebensjahr erreicht haben, aus Gründen ihrer Versetzung in den Ruhestand entlassen werden, ohne dass eine solche Behandlung als diskriminierend angesehen werden kann.
Das Gesetz nennt einige Kriterien, anhand deren überprüft werden soll, ob der Grund für die Entlassung die Versetzung in den Ruhestand ist, und schreibt die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens vor. Für Beschäftigte unter 65 Jahren enthält das Gesetz keine besonderen Bestimmungen und stellt lediglich den Grundsatz auf, dass jede Diskriminierung aus Gründen des Alters rechtswidrig ist, sofern nicht der Arbeitgeber nachweisen kann, dass sie "ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels" ist.
Die gemeinnützige Einrichtung hält diese Rechtsvorschriften für nicht rechtmäßig, weil die Richtlinie 2000/78 (*) mit diesen Bestimmungen nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sei. Diese verbietet Diskriminierungen aus Gründen des Alters in Beschäftigung und Beruf.
Ausnahmsweise sieht sie vor, dass bestimmte Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters dann keine Diskriminierung darstellen, wenn sie objektiv und angemessen sind und durch rechtmäßige Ziele, insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt sind. Außerdem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Die Richtlinie zählt einige Ungleichbehandlungen auf, die einer Rechtfertigung zugänglich sind.
Der High Court fragt den Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie verpflichtet sind, die einzelnen Arten von Behandlungen, die gerechtfertigt sein könnten, in Form einer Liste festzulegen, und ob die Richtlinie Rechtsvorschriften entgegensteht, die nur allgemein vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters keine Diskriminierung darstellt, wenn sie ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels ist.
Der EuGH erinnert daran, dass die Umsetzung einer Richtlinie nicht in jedem Fall verlangt, dass ihre Bestimmungen förmlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden.
Im vorliegenden Fall verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht zur Aufstellung eines spezifischen Verzeichnisses der Ungleichbehandlungen, die durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt sein könnten.
Fehlt es an einer solchen genauen Angabe, ist allerdings wichtig, dass andere, aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können.
Der Gerichtshof stellt fest, dass die Ziele, die nach der Richtlinie als "rechtmäßig" angesehen werden können, gleichfalls sozialpolitische Ziele sind, wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung.
Diese Ziele unterscheiden sich insoweit, als sie im Allgemeininteresse stehen, von rein individuellen Beweggründen, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind, wie Kostenreduzierung oder Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob zum einen die britische Regelung einem solchen rechtmäßigen Ziel entspricht und zum anderen die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich waren.
(*) Richtlinie 2000/78/EG des Rates v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16).
Quelle:
EuGH, Urteil vom 05.03.2009
Aktenzeichen: C-388/07
PM des EuGH Nr. 19/09 v. 05.03.2009

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Inhalt und Grenzen der Einladungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § SGB_IX § 82 Satz 2 und 3 SGB IX Von Leitender Ministerialrat Andreas Reus und Ministerialrat Dr. Peter Mühlhausen 

Der öffentliche Arbeitgeber muss schwerbehinderte Bewerber um einen Arbeitsplatz zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Die nachfolgenden Ausführungen beschäftigen sich mit der Frage, ob dieser Pflicht mit der bloßen Einladung Genüge getan wird. Insbesondere wird erörtert, welche Folgen die Verhinderung eines schwerbehinderten Bewerbers zum konkreten Vorstellungstermin hat.

I. Einleitung 

Die in § SGB_IX § 82 Satz 2 SGB IX normierte Verpflichtung wurde mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. 9. 2000 eingeführt, damals als § SCHWBG § 14a SchwbG. Sie galt zunächst – durch Verweis auf § SCHWBG § 5 Abs. SCHWBG § 5 Absatz 3 Nr. 1 und 3 SchwbG – nur für Bundesbehörden. Das SGB IX übernahm mit seinem Inkrafttreten am 1. 7. 2001 die Vorschrift des § SCHWBG § 14a SchwbG und erweiterte zugleich deren Anwendungsbereich, indem kein Verweis auf den dem früheren § SCHWBG § 5 Abs. SCHWBG § 5 Absatz 3 SchwbG entsprechenden § SGB_IX § 71 Abs. SGB_IX § 71 Absatz 3 SGB IX aufgenommen wurde. Vielmehr trifft die Pflicht nunmehr „die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber” (§ SGB_IX § 82 Satz 1 SGB IX). Dadurch sind alle in § SGB_IX § 71 Abs. SGB_IX § 71 Absatz 3 SGB IX aufgeführten Dienststellen zur Beachtung des § SGB_IX § 82 Satz 2 SGB IX verpflichtet, also alle Bundesbehörden, Landesbehörden, Gebietskörperschaften und Kommunen sowie alle Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Die Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers ist nur dann entbehrlich, wenn dessen fachliche Eignung offensichtlich fehlt, § SGB_IX § 82 Satz 3 SGB IX. Nur unter dieser Voraussetzung entfällt – ungeachtet seiner Eignung im Vergleich zu anderen Bewerbern – die Notwendigkeit zur Einladung eines Schwerbehindertenbewerbers.

II. Problematik 

Vor nunmehr über 30 Jahren hat Gamillscheg an die Arbeitsrechtsprechung appelliert, „… der Versuchung zu widerstehen, aus der Anhörungspflicht ein Geflecht von Stolperdrähten zu machen, in dem sich der ungewandte Arbeitgeber auch dann verfangen muss, wenn er sich um die Einschaltung des Betriebsrats redlich bemüht hat”. Diese Mahnung gilt sicher nicht nur für die Anhörung des Betriebsrats nach § BETRVG § 102 BetrVG vor einer Kündigung. Die erwähnten Stolperdrähte gibt es auch im hier angesprochenen Bereich. Neben immer unfangreicheren und ausgefeilteren Dokumentationsobliegenheiten in Stellenbesetzungsverfahren werden auch die Anforderungen an die Offensichtlichkeit der fehlenden Eignung immer höher angesetzt. Wurde der Bewerber von der Bundesagentur für Arbeit oder von einem Integrationsfachdienst vorgeschlagen (§ SGB_IX § 82 Satz 2 Alt. 2 SGB IX), wird der Arbeitgeber in aller Regel davon ausgehen können/müssen, dass die fachliche Eignung jedenfalls nicht offenkundig fehlt. Handelt es sich dagegen um Initiativbewerbungen (§ SGB_IX § 82 Satz 2 Alt. 1 SGB IX), muss sich der Arbeitgeber über die Eignung oder Nichteignung selber im Klaren werden. Aus eigenem wohlverstandenem Interesse sollte er die diesbezügliche „Messlatte” hoch anlegen. So hat das ArbG Berlin die Ansicht vertreten, die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sei nur dann entbehrlich, wenn der Bewerber unter keinem Gesichtspunkt für die ausgeschriebene Stelle geeignet erscheine

Angesichts der damit verbundenen Unwägbarkeiten wird es der Arbeitgeber oftmals vorziehen, alle schwerbehinderten Bewerber einzuladen. Ziel ist es, sich nicht späteren Schadensersatzforderungen ausgesetzt zu sehen. Spätestens aber dann, wenn Bewerber – möglicherweise sehr kurzfristig – mitteilen, dass sie zu dem angegebenen Termin verhindert sind oder zum vereinbarten Termin nicht erscheinen, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber eine „zweite Chance” (oder gar dritte Chance) zu einem Vorstellungsgespräch einräumen muss.

III. Einladung im Sinne des § SGB_IX § 82 Satz 2 SGB IX § SGB_IX § 82 Satz 2 SGB IX 

verpflichtet den öffentlichen Arbeitgeber, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Was ist darunter zu verstehen, d.h. wie ist dieses Tatbestandsmerkmal konkret auszulegen? Ausgangspunkt jeder Auslegung ist die Wortinterpretation. Enthält das Gesetz – wie hier – keine Festlegung des Ausdrucks, so ist für technisch-juristische Ausdrücke der juristische Sprachgebrauch, ansonsten sind der allgemeine Sprachgebrauch und die Regeln der Grammatik maßgeblich. Die Interpretation des Begriffes „einladen” bzw. „Einladung” belegt hier trefflich die herrschende Meinung, nach der es keinen völlig eindeutigen, unzweifelhaften Wortlaut gibt, so dass die grammatische Auslegung nicht mehr als einen ersten Hinweis auf den Normsinn bieten kann. Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bedeutet zunächst nicht mehr, als den für offensichtlich nicht ungeeignet befundenen Bewerbern ein Vorstellungsgespräch anzubieten, d.h. sie schriftlich oder telefonisch zu einem bestimmten Termin zum Vorstellungsgespräch zu bitten.

Neben diesem formalen Akt als Begriffskern erfasst der Wortsinn aber auch das Vorstellungsgespräch als solches. Einladung zu einem Vorstellungsgespräch umfasst also nicht nur die (bloße) Information über einen vom Arbeitgeber organisierten Termin, sondern auch den Termin selbst.

Maßgeblich für die Auslegung einer Norm ist indes, dass bei ihrer Anwendung der Gesetzeszweck, die ratio legis, verwirklicht wird. Deren Deutung erfolgt durch die Erkenntnis der rechtspolitischen Zwecksetzung. Der zur Herbeiführung und Begründung eines Auslegungsergebnisses heranzuziehende und entscheidende Zweck einer Norm ergibt sich aus der ihr zu Grunde liegenden Interessenlage und der durch den Gesetzgeber erfolgten Bewertung. Entscheidend ist also, welche Interessen durch die Regelung berührt werden und welchen Stellenwert sie einnehmen. Nach ganz h.M. im Schrifttum soll durch die Einladungspflicht gewährleistet werden, dass ein Bewerber die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch erhält, um über die bloße Papierform hinaus durch sein Auftreten und den erzielten Eindruck beim Arbeitgeber seine Einstellungschancen verbessern zu können. Der Arbeitgeber kann sich mithin nicht darauf zurückziehen, mit einem Einladungsschreiben seiner Pflicht nach § SGB_IX § 82 Satz 2 SGB IX in jedem Fall genügt zu haben, so dass er auf die Verhinderung eines schwerbehinderten Bewerbers generell nicht mehr weiter reagieren müsse.

IV. Rücksichtnahmepflichten

1. Grundsätzliches 

Was muss ein Arbeitgeber bei einer Verhinderung des Bewerbers tun, um seiner Pflicht nach § SGB_IX § 82 Satz 2 SGB IX entsprochen zu haben? Ausgangspunkt diesbezüglicher Überlegungen ist, dass die Lösung zwischen den beiden denkbaren Extrempositionen zu suchen ist. Offenkundig muss es Versäumnisgründe geben, aus denen dem Betreffenden kein Nachteil entstehen darf (hier dergestalt, dass ihm kein neuer Vorstellungstermin eingeräumt wird/werden muss und seine Bewerbung damit obsolet geworden ist). Offenkundig deshalb, weil dieses Prinzip der Rechtsordnung immanent ist, wie ein Blick auf die Wiedereinsetzungsregelungen der Prozessordnungen zeigt.

Ebenso offenkundig ist aber auch, - 3 - dass die Rücksichtnahme auf Einzelfälle nicht grenzenlos sein kann. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass gesetzliche Regelungen mit einem vertretbaren Aufwand umsetzbar sein müssen. So kann ein Arbeitgeber sicherlich nicht mehrere Wochen oder gar Monate mit dem Abschluss des Bewerbungsverfahrens warten, weil sich der schwerbehinderte Bewerber am Morgen des Vorstellungsgespräches das Bein gebrochen hat, insbesondere, wenn es sich um eine kurzfristig zu besetzende Stelle (z.B. eine Krankheitsvertretung) handelt

Die klassische Antwort, es komme auf die Umstände des Einzelfalls an, ist sicherlich nicht verkehrt, gibt aber ohne nähere Eingrenzung der zu berücksichtigenden Umstände beiden Seiten Steine statt Brot. Das hier angesprochene Problem ist – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur noch nicht behandelt worden.

Erste Anhaltspunkte für eine mögliche Lösung gibt die Sperrzeitregelung des § SGB_III § 144 SGB III. Gemäß § SGB_III § 144 Abs. SGB_III § 144 Absatz 1 Nr. 2 SGB III tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs, durch sein Verhalten verhindert hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung). Danach ist der Arbeitslose gehalten, alle Bestrebungen zu unterlassen, die der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses nach außen hin erkennbar entgegenlaufen und den Arbeitgeber veranlassen, ihn aus dem Bewerberkreis auszuscheiden.

Für die Verwirklichung des Sperrzeittatbestandes des § SGB_III § 144 Abs. SGB_III § 144 Absatz 1 Nr. 2 SGB III bedarf es nach der – umstrittenen – Rechtsprechung des BSG weder Vorsatzes noch grober Fahrlässigkeit. Die Behinderung des Zustandekommens eines Vorstellungsgesprächs setzt danach kein bewusstes und gewolltes, sondern nur ein vorwerfbares Handeln voraus.

Dass ein solches Verhalten vorliegen muss, folge aus dem Sinn und dem Zweck der Sperrzeitregelung, die auf dem Grundgedanken beruhe, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren müsse, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten habe oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithelfe. So heißt es dazu in der Begründung zum Job-AQTIV-Gesetz, die Vorschriften über das Ruhen des Arbeitslosengeldes bei Eintritt einer Sperrzeit dienten der Abgrenzung des Risikos, das die Gemeinschaft der Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung zu tragen habe, von dem Risiko, für das der Arbeitslose aufgrund seines Verhaltens einzustehen habe.

Die hier in Rede stehenden Sachverhalte unterscheiden sich allerdings von den Sachverhalten, die § SGB_III § 144 SGB III erfasst, zunächst dadurch, dass die Bewerbung aus freien Stücken geschieht und nicht durch die Arbeitsagentur gefordert wird. Darüber hinaus ist die Nichtaufnahme des Kontakts zum Arbeitgeber zum Zwecke der Vertragsanbahnung (d.h. das Vereiteln im Sinne des § SGB_III § 144 SGB III) gerade nicht von einer diesbezüglichen Vereitelungsabsicht getragen. Trotz dieser Unterschiede kann aber der Regelung sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung für die hiesige Problematik der Grundsatz entnommen werden, dass eine nochmalige Einladung zum Vorstellungsgespräch dann in Betracht kommt, wenn der Bewerber aus einem von ihm nicht zu vertretenden wichtigen Grund, d.h. nicht vorwerfbar an der Wahrnehmung des Termins verhindert war.

Ob insoweit als Anhaltspunkt für die Praxis auf Fallgruppen zurückgegriffen werden kann, die sich anderweitig herausgebildet haben, hängt mit zwei Fragen zusammen. Zum einen, ob eine einschlägige Generalklausel besteht, die durch Fallgruppen auszufüllen ist, um so eine geordnete Fortbildung des Rechts zu ermöglichen und es an ggf. an geänderte Bedingungen - 4 - anzupassen (dazu nachfolgend unter 2.). Zum anderen – falls diese Frage zu bejahen ist – welche Fallgruppen Sachverhalte betreffen, die der hier fraglichen Konstellation so hinreichend ähnlich sind, dass sie herangezogen werden können (dazu unten unter 3.).

2. Einschlägige Generalklausel 

Hinsichtlich der Frage nach einer einschlägigen Generalklausel kann auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der c.i.c. zurückgegriffen werden, die auch im Beamtenrecht Beachtung finden und die auf die Bewerbung Schwerbehinderter bei einem öffentlichen Arbeitgeber übertragbar sind. Mit dem Einladungsschreiben entsteht zwischen Arbeitgeber und Bewerber ein Schuldverhältnis in Form der Aufnahme von Vertragsverhandlungen i.S. des § BGB § 311 Abs. BGB § 311 Absatz 1 Nr. 1 BGB. Aus dem Anbahnungsverhältnis resultieren die Pflichten des § BGB § 241 Abs. BGB § 241 Absatz 2 BGB, insbesondere Rücksichtnahmepflichten. Die Rücksichtnahmepflichten wiederum werden durch den von der Rechtsprechung auf der Grundlage der §§ BGB § 242, BGB § 157 BGB entwickelten Pflichtenkatalog bestimmt.

3. Mögliche Fallgruppen 

Soweit es mögliche Fallgruppen betrifft, bietet sich ein Rückgriff auf die zur schuldlosen Verhinderung im Sinne des § ZPO § 337 ZPO entwickelten Grundsätze an, da der Sachverhalt „verhinderter Bewerber” dem dort geregelten Sachverhalt „verhinderte Prozesspartei” – gemessen an den zum Rechtsgewinnungsverfahren der Analogie entwickelten Grundsätzen – hinreichend ähnlich ist. Denn die von den jeweiligen Zwecken geprägten Interessenlagen stimmen in einem Maße überein, dass die Gleichbehandlung (hier im Sinne einer Heranziehung der Rechtsprechung zu § ZPO § 337 ZPO) durch das Gerechtigkeitsgebot, nach dem Gleichartiges rechtlich gleich zu behandeln ist, gerechtfertigt erscheint. So ist § ZPO § 337 ZPO eine Ausprägung des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Gerade aber bei der Anwendung des § BGB § 242 BGB (dazu oben unter 2.) haben die Grundrechte Bedeutung für die Interessenabwägung unter den Beteiligten. Das durch Art. GG Artikel 103 Abs. GG Artikel 103 Absatz 1 GG verbürgte Grundrecht auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, dass sie sich zu dessen Verfahrensstoff in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht äußern können, und verpflichtet das Gericht, seinen Entscheidungen nur solche Tatsachen zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, und die erfolgten Äußerungen der Beteiligten bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Vergleichbar die Situation des Bewerbers. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, soll das Vorstellungsgespräch die Gelegenheit geben, sich gegenüber dem potentiellen Arbeitgeber persönlich präsentieren zu können, um damit die Einstellungschance zu verbessern. Hier wie dort geht es letztlich darum, eine Entscheidung zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen oder zumindest die Möglichkeit zur Einflussnahme zu erhalten.

Sondert man aus der äußerst umfangreichen, komplizierten und schwer überschaubaren Rechtsprechung zu §§ ZPO § 233, ZPO § 337 ZPO die prozessrechtsspezifischen Fälle (Zustellung, Anwaltsverschulden, Büroorganisation etc.) aus, so können für die hier behandelte Problematik die Fälle einer Verhinderung durch Abwesenheit, Krankheit oder Verkehrsunfallbzw. Verkehrsstörung und deren Beurteilung herangezogen werden.


So wird die Abwesenheit eines Bewerbers nur dann beachtlich sein, wenn er keine konkreten Anhaltspunkte dafür hatte, dass er zum fraglichen Zeitpunkt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Selbstverständlich ist zwar, dass mit dem Absenden von - 5 - Bewerbungsunterlagen eine Einladung in Betracht kommt und der Bewerber sich in aller Regel nach den Vorgaben des Arbeitgebers zu richten, d.h. sich aus eigenem wohlverstandenem Interesse bereit zu halten hat.

Daher wird die Berufung auf eine urlaubsbedingte Verhinderung allenfalls dann beachtlich sein können, wenn der Urlaub bereits vor der Stellenanzeige des Arbeitgebers gebucht war und die spätere Überschneidung mit dem Vorstellungstermin nicht vorhersehbar war. Konsequenterweise kann der umgekehrte Fall (Bewerber bucht Urlaub, obwohl eine Überschneidung nicht ausgeschlossen werden kann) nur in sehr seltenen Ausnahmefällen dazu führen, dass ihm der Anspruch auf Einladung nicht verlustig geht. So kann etwas anderes gelten, wenn der Eingang der Bewerbungsunterlagen bestätigt wird und danach monatelang keine Einladung ausgesprochen wird.


Ein Sonderfall der Abwesenheit ist die krankheitsbedingte Verhinderung. 

War der Bewerber infolge kurzfristig eingetretener und nicht vorhersehbarer Krankheit handlungsunfähig, wird man ihm – falls dies für den Arbeitgeber zumutbar ist (siehe dazu nachfolgend unter Ziffer 4) – eine weitere Chance zum persönlichen Erscheinen zugestehen müssen. Versäumt ein Bewerber das Vorstellungsgespräch wegen Schwierigkeiten bei der Anreise, so wird fehlendes Verschulden anzunehmen sein, wenn der Hinderungsgrund unvorhersehbar (plötzlicher Wetterumschwung, Streik) war bzw. bei Benutzung eines eigenen PKW eine angemessene Zeitreserve eingeplant war.

4. Begrenzung der Pflicht zur Einladung unter Zumutbarkeitsaspekten

 Liegt ein beachtlicher, weil unverschuldeter Verhinderungsgrund vor, fragt sich, ob der Arbeitgeber dann stets gehalten ist, den Bewerber nochmals einzuladen. Hierbei handelt es sich um eine Frage der Zumutbarkeit. Der weite Begriff der Unzumutbarkeit ist dogmatisch schwer einzuordnen. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass die rechtliche Grundlage für dieses allen Schuldverhältnissen immanente Prinzip in § BGB § 242 BGB zu sehen ist.

Die Rechtsprechung ist insoweit allerdings wenig ergiebig. Entweder wird dort mit bloßen Umschreibungen des Begriffes gearbeitet, die für sich genommen wertlos sind, oder es wird lediglich der Zweck der Zumutbarkeitsprüfung hervorgehoben. Nipperdey beschreibt den Anwendungsbereich dergestalt, dass es sich um Fälle handele, bei denen „ein untrügliches Rechtsgefühl, der innere Instinkt für das Gerechte” sage, dass dem Schuldner irgendwie geholfen werden müsse”. Dem entsprechend definiert Erbel unzumutbare Verwaltungsakte überzeugend als solche, die vom Adressaten eine Handlung oder Leistung fordern, die diesem zwar – bei Zugrundelegung eines logisch-naturwissenschaftlichen Begriffs der (Un-) Möglichkeit – an sich möglich, aber wegen der mit der Erfüllung der Forderung für ihn verbundenen Schwierigkeiten, Risiken oder Opfer unzumutbar ist.

Sieht man die Zumutbarkeit als einen Wertmaßstab an, „der alle auf eine Person einwirkenden Umstände danach zu beurteilen fähig ist, ob bei ihrer Berücksichtigung die Erfüllung einer Pflicht von dieser Person erwartet werden kann oder nicht”, so wird die Frage im hiesigen Zusammenhang vor allem im Hinblick auf den Organisationsaufwand des Arbeitgebers zu beantworten sein.

 Regelmäßig wird neben dem Personalreferenten mindestens ein Vertreter der Fachebene beim Vorstellungsgespräch anwesend sein, um die Befähigung eines Bewerbers zu prüfen. Darüber hinaus sind Schwerbehindertenvertreter, Frauenbeauftragte und mindestens ein Vertreter des Personalrats bei Vorstellungsgesprächen zugegen. Dieser Kreis muss nochmals zusammentreten und zwar – wenn irgend möglich – in derselben Zusammensetzung, um den Vergleich aller Bewerber gewährleisten zu können. Je länger aber die erste Bewerberrunde zurückliegt, desto größer können die diesbezüglichen Schwierigkeiten sein. Selbst wenn alle Beteiligten nochmals zusammentreten können, spielt das Zeitmoment vor allem insoweit eine Rolle, als ein Vergleich der Bewerber immer schwieriger wird, je länger der erste Termin vergangen ist. So darf der Blick dafür nicht verloren gehen, dass bei allem Verständnis für einen schuldlos verhinderten Bewerber die übrigen Bewerber nicht benachteiligt werden dürfen. - 6 - Zu bedenken ist nämlich, dass der Eindruck, den ein zunächst verhinderter Bewerber bei einem späteren Gespräch hinterlässt, zwangsläufig präsenter sein wird. Mithin kann ein Bewerber, der kurz vor dem Vorstellungsgespräch auf unbestimmte Zeit erkrankt oder einen (auch seit längerem geplanten) Urlaub antritt, nicht erwarten, dass der Arbeitgeber mehrere Wochen zuwartet. Berücksichtigt man, dass es für beide Seiten darum geht, Klarheit über den Fortgang des Stellenbesetzungsverfahrens zu gewinnen, könnten als eine Orientierung die in § KSCHG § 4 Satz 1 KSchG, § BGB § 626 Abs. BGB § 626 Absatz 2 S. 1 BGB bestimmten Fristen dienen. Auch wenn beide Normen andere Sachverhalte betreffen, ist auch deren Zweck maßgeblich vom Zeit- und Klärungsmoment geprägt. Beide Seiten sollen sich rasch entscheiden, um Klarheit zu schaffen. Im Fall des § KSCHG § 4 KSchG soll der Arbeitgeber wirtschaftliche Planungssicherheit erhalten, § BGB § 626 Abs. BGB § 626 Absatz 2 BGB will die Unsicherheit des Arbeitnehmers über eine mögliche Reaktion des Arbeitgebers auf ein Fehlverhalten nicht unangemessen lange in der Schwebe halten. Verschärfend wirkt, wenn die ausgeschriebene Stelle möglichst kurzfristig besetzt werden soll. Auch wenn nach alledem keine starren Grenzen festgelegt werden können, wird die Rücksichtnahme auf eine länger als zwei- bis (höchstens) dreiwöchige Verhinderung kaum jemals zumutbar sein.

V. Zusammenfassung

1. Aus den auch im Beamtenrecht beachtlichen Grundsätzen der c.i.c. ergeben sich Rücksichtnahmepflichten des öffentlichen Arbeitgebers im Hinblick auf schwerbehinderte, nicht offensichtlich ungeeignete Bewerber, die an der Teilnahme an einem konkreten Vorstellungstermin verhindert sind. 2. Der Verhinderungsgrund des schwerbehinderten Bewerbers muss beachtlich sein. Dies ist z.B. bei vor Bekanntwerden des Vorstellungstermins gebuchten Urlaubsreisen, krankheitsbedingten Verhinderungsgründen oder bei sonstigen unvorhersehbaren Hinderungsgründen (tiefgreifender Wetterumschwung, Streik) – etwa bei Benutzung des eigenen PKW zur Anreise – der Fall. 3. Ob ein schwerbehinderter Bewerber nochmals – möglicherweise zu einem eigens für seine Person anzuberaumenden Vorstellungsgespräch – eingeladen werden muss, ist eine Frage der Zumutbarkeit für den öffentlichen Arbeitgeber. Deren Beantwortung mündet in eine Abwägungsentscheidung, bei der sich der (beachtliche) Verhinderungsgrund des Bewerbers und die Interessen des öffentlichen Arbeitgebers (zeitliches Ziel für die Stellenbesetzung, Organisationsaufwand für das Auswahlverfahren) gegenüber stehen.



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Hier geben wir Ihnen einige Hinweise zu Quellen mit AGG Urteilen:


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Auf Grund  des Urteils des Europäischen  Gerichtshofs (EuGH) vom  19.04.2012, Rechtssache: C- 415/10, haben Arbeitnehmer, die bei einer Stellenausschreibung leer ausgegangen sind, eben dann einen Anspruch   darauf, Unterlagen von Konkurrenten einsehen zu dürfen oder nähere Hintergründe über ihrer Ablehnung zu erfahren, wenn durch das totale Schweigen des Arbeitgebers offensichtlich ein Gesichtspunkt vorliegt, welcher das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lässt.

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Zugangsnachweis bei Bewerbung per E-Mail

Eine E-Mail geht zu, wenn sie in der Mailbox des Empfängers oder der des Providers abrufbar gespeichert wird. Die Beweislast kommt demjenigen zu, der sich auf den Zugang beruft. Für den Zugang einer E-Mail kann möglicherweise eine Eingangs- oder Lesebestätigung einen Nachweis erbringen. Ein Ausdruck der E-Mail ohne Eingangs- oder Lesebestätigung reicht für den Anscheinsbeweis nicht aus. Ein Nachweis des ersten Anscheins für den Eingang in die Mailbox des Empfängers ergibt sich auch nicht bereits dann, wenn der Erklärende die Absendung der E-Mail beweisen kann.

LAG Berlin-Brandenburg 27.11.2012 – 15 Ta 2066/12

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Zugangsnachweis bei Briefpost


Der Erklärende kann sich für den Zugang in der Regel auch nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen; denn es kommt regelmäßig vor, dass die aufgegebene Sendung nicht ankommt und verloren geht (vgl. BAG vom 14.07.1960, Az.: 2 AZR 173/59 - NJW 1961, 2132; OLG Frankfurt vom 03.02.1995, Az.: 25 U 155/94 - OLGR Frankfurt 1995, 65-66). Allein der Nachweis der Absendung reicht hierfür nicht aus (vgl. OLG München vom 11.08.2003, Az.: 29 W 1912/03 - OLGR München 2003, 366-367).

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Zugangsnachweis bei Briefpost / Sozialrecht


Ein mit einfachem Brief versandter Vermittlungsvorschlag gilt nicht schon deshalb als zugegangen, weil beim Jobcenter kein Postrücklauf zu verzeichnen ist. § 37 Abs. 2 SGB X findet keine Anwendung.
Eine Pflichtverletzung im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II liegt nicht vor. Es gibt keinen Nachweis dafür, dass die Klägerin den per Post versandten Vermittlungsvorschlag vom 31.07.2012 erhalten hat. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht auf die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X berufen.
a. Die Bekanntgabe behördlicher Schreiben ist gesetzlich nicht definiert, vielmehr wird sie durch einzelne Normen lediglich vorausgesetzt, wie zum Beispiel § 37 SGB X (vgl. § 41 VwVfg, § 122 AO) für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Nach ganz herrschender Meinung ist daher für das Verständnis des Bekanntgabebegriffs auf die zivilrechtlichen Vorschriften über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen zurückzugreifen, soweit nicht die verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften Abweichungen vorsehen (vgl. Pattar in jurisPK-SGB X, § 37 SGB X, Rdnr. 21). Hiervon war auch der Gesetzgeber beim ersten Entwurf des VwVfG ausgegangen (vgl. BT-Drucks. 7/910, S. 61). § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB, auf den demnach für die Definition des Zugangs zurückzugreifen ist, bestimmt, dass eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung erst mit deren Zugang wirksam wird. Eine verkörperte Willenserklärung, beispielsweise in Form eines Briefes, geht dann zu, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser bei Zugrundelegung normaler Verhältnisse die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG vom 03.06.2004, Az.: B 11 AL 71/03 R). Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn sie so in den Briefkasten des Empfängers eingelegt wird, dass spätestens bei der nächsten Leerung mit deren Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Die Darlegungs- und Beweislast für den tatsächlichen Zugang einer Willenserklärung obliegt dabei demjenigen, der sich auf deren Inhalt beruft und daraus Rechte herleiten will (vgl. Reichold, jurisPK - BGB Band 1, § 130, Rdnr. 41). Der Erklärende kann sich für den Zugang in der Regel auch nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen; denn es kommt regelmäßig vor, dass die aufgegebene Sendung nicht ankommt und verloren geht (vgl. BAG vom 14.07.1960, Az.: 2 AZR 173/59 - NJW 1961, 2132; OLG Frankfurt vom 03.02.1995, Az.: 25 U 155/94 - OLGR Frankfurt 1995, 65-66). Allein der Nachweis der Absendung reicht hierfür nicht aus (vgl. OLG München vom 11.08.2003, Az.: 29 W 1912/03 - OLGR München 2003, 366-367).



www.gleichstellungsbeauftragte-rlp.de/?page_id=303

www.rechtsindex.de/urteile/gleichbehandlungsgesetz

www.kostenlose-urteile.de/topten.allgemeines_gleichbehandlungsgesetz_agg.htm

www.uni-augsburg.de/einrichtungen/beschwerdestelle/downloads/rechtsprechungsuebersicht.pdf

www.hensche.de/Arbeitsrecht_aktuell_Vorstellungsgespraech_fuer_schwerbehinderten_Bewerber_BAG_9AZR431-08.html#tocitem3

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